1000 gläserne Menschen in zwei Jahren

Mit dem "1000-Genome-Projekt" wollen Forscher Krankheitsanlagen in unserem Erbgut finden. Wollen wir das überhaupt so genau wissen?

Ein Gremium aus US-Amerikanern, Chinesen und Engländern verkündete am 22. Januar 2008 den Start eines ehrgeizigen Unterfangens. Mit dem "1000-Genome-Projekt" sollen erstmals so viele menschliche Genome – also Erbanlagen – entschlüsselt werden, dass die Forscher kleine Variationen im Erbgut von Mensch zu Mensch ausmachen können. Setzen die Wissenschaftler diese Unterschiede in Beziehung zu bestimmten Krankheiten, können sie erkennen, welches Gen für welche Erkrankung verantwortlich ist. Damit, so die Hoffnung, lassen sich ganz neue Therapieansätze finden. "Mit diesem Projekt werden wir genetische Krankheiten zehnmal schneller als bisher aufspüren", sagt Francis Collins, Direktor des US-amerikanischen Nationalen Humanen Genomforschungsinstituts und Mitgründer des Projekts. Für die Initiatoren legen diese Daten das Fundament für ein neues medizinisches Zeitalter. Das Zeitalter der persönlichen Genforschung, in dem jeder Patient im Rahmen eines Routinechecks seine Gensequenz einsehen kann.

Das gläserne Genom

Zwei Wissenschaftsstars haben es vorgemacht. Der Nobelpreisträger und Mitentdecker der DNA-Helixstrukur James Watson und der Humangenetiker Craig Venter legten 2007 ihre vollständig entschlüsselten Genome der Weltöffentlichkeit vor. Die rund drei Milliarden Basenpaare, die uns zum Mensch machen, sind nun für jeden Forscher, den es interessiert, einsehbar. Bislang konnten Genforscher rund 100 Regionen ausmachen, die Genvarianten enthalten, die mit einem Krankheitsrisiko verbunden sind. Dazu gehört etwa das Risiko für Diabetes, koronare Herzkrankheiten und Prostatakrebs. In Venters Genom fanden die Forscher übrigens ein Gen, das auf künftige Herzprobleme hindeutet. Seither schluckt der 61-jährige Venter cholesterinsenkende Mittel. James Watson hält Teile seines Genoms vor der Öffentlichkeit verborgen. Zum Beispiel die Region, auf der sich das Alzheimer-Risiko ablesen lässt. Der 80-jährige Nobelpreisträger war im letzten Jahr wegen seiner Behauptung, Schwarze seien weniger intelligent als Weiße von der Arbeit suspendiert worden. Sein Genom zeigt angeblich deutliche Spuren afrikanischer Vorfahren.

Will man das wirklich wissen?

Schon diese beiden Vorreiter des neuen personalisierten Genzeitalters zeigen, dass – bei aller Euphorie – Bedenken angebracht sind. „Sicher bringen uns diese Daten einen neuen Erkenntnisschub“, sagt Stefan Wiemann von der Abteilung Molekulare Genomanalyse des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg (DKFZ). „Das Problem ist allerdings, dass wir durch die Genomanalyse Krankheitsgene aufdecken, dem Betroffenen dann aber keine Heilung anbieten können. Der Patient muss sich also fragen: Will ich das wirklich wissen?“ Auch Aravinda Chakravati, Genetiker an der John Hopkins University in Baltimore, USA, und Mitglied des Projektgremiums warnt davor, Patienten Hoffnung zu machen. „Es ist weder ideal noch angezeigt, genetische Daten für Patienten offenzulegen, wenn es keine Behandlungsstrategie gibt“, sagt Chakravati zu FOCUS Online. Für ihn steht auch nicht die direkte Anwendung im Vordergrund, sondern der Wissensgewinn. „Wenn wir die genetische Basis einer Erkrankung verstehen, können wie möglicherweise neue Behandlungsstrategien entwickeln“, betont der US-amerikanische Forscher.

Die Deutschen mischen nicht mit

Bei der Liste der am „1000-Genome-Projekt“ beteiligten Institute fällt auf: Deutschland ist nicht mit von der Partie. Als Unterstützer treten auf: die USA, England und China. Die Leiter des Projekts schätzen die Kosten dank neuer Sequenzierungsmethoden als relativ gering ein. Rund 30 bis 50 Millionen Dollar soll die Entschlüsselung kosten.

In einer ersten Phase wird das Genom zweier Familien sequenziert. Anschließend erhöht sich die Zahl der Versuchspersonen auf 1000. Da die Forscher gerade an Variationen zwischen den menschlichen Genomen interessiert sind, kommen die Genomspender aus verschiedenen Teilen der Welt. Mit dabei sind beispielsweise Massai aus Kenia, Chinesen und Inder, die in den USA leben, Yoruba aus Nigeria, Toskaner aus Italien. Nach zwei Jahren sollen die Daten auf dem Tisch liegen. „Wenn die Maschinen auf Hochtouren laufen, produzieren wir in zwei Tagen mehr Gensequenzen als früher in einem Jahr“, berichtet Gil McVean von der University of Oxford/England und Mitarbeiter beim „1000-Genome-Projekt“. Von diesem Datenrausch können deutsche Forscher nur träumen. „Wir haben in Deutschland einfach nicht die technischen Kapazitäten, um an diesem Projekt teilzunehmen“, sagt Stefan Wiemann vom DKFZ. In einigen Zentren in Deutschland, darunter beispielsweise das Helmholtz-Zentrum München und im Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin stehen High-Tech-Gensequenzierungsgeräte vom Typ 454 und Solexa. „Vielleicht können wir uns eines oder zwei dieser Geräte leisten, aber bei unseren Kollegen in China stehen 40 davon im Labor. Damit können wir nicht ernsthaft konkurrieren“, bedauert Hans Lehrach, Mitglied des Nationalen Genomforschungsnetzwerks und Abteilungsleiter im Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik. Das Leitungsgremium des “1000-Genome-Projekts“ lädt die Deutschen auf jeden Fall zum Mitmachen ein. „Wir sind offen für weitere internationale Partner, deutsche Forscher eingeschlossen“, sagt Geoff Spencer, Pressesprecher des US-amerikanischen Nationalen Humanen Genomforschungsinstituts.

Das Recht auf Nichtwissen

Doch auch wenn die deutschen Forscher nicht auf den Zug ins moderne Genomzeitalter mit aufspringen, von den Ergebnissen profitieren alle. „Je mehr wir über das Genom wissen, umso besser“, freut sich Martin Hrabé de Angelis, Sprecher des nationalen Genomforschungsnetzwerks. Er würde sein Erbgut ohne Weiteres zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen und nachher gerne einen Blick darauf werfen. So genau will aber vielleicht nicht jeder wissen, was die Zukunft bringt. Möglicherweise weisen einige Genvarianten auf Schizophrenie hin, andere auf Alzheimer, und wieder andere kündigen den frühen Herztod an. Da bleibt nicht mehr viel Raum für Zukunftsfreude. „Wichtig ist daher für jeden Menschen“, betont Hrabé de Angelis, „das Recht auf Nichtwissen“.

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