Schatzsuche im kunstfreien Raum

Deutschlands vorwitzigster Newcomer belebt die Kunstszene mit Wein und Blut. Der Installationskünstler Berkan Karpat erhebt den öffentlichen Platz zur interaktiven Opernbühne.

In München treibt seit einigen Jahren ein junger Künstler sein Unwesen, dessen abgedrehte Ideen die Kunstszene in Verzückung versetzt. Berkan Karpat, von den Medien wahlweise als Autor, Regisseur, Installationskünstler, Klanginstallateur und so sieht es die Süddeutsche Zeitung "Newcomer des Jahres 2002" bezeichnet, hat Großes vor. "Man hat permanent den Eindruck, dass Karpat an der Schwelle zu etwas Unerhörtem, Großen steht", begründet die Süddeutsche ihre Auszeichnung.

Blut in öffentlichen Adern

Sein neuester Coup: Ein fünf Meter hoher Turm, in dessen Adern Wein und das Blut des Künstlers fließen. Aber nicht nur zum Angucken. Den Turm kann man anfassen und wird damit Komponist in Karpats öffentlicher Oper "suchmaschinen im lichtleeren raum". Denn das Berühren des Turmes, Sinnbild der Suche nach ewiger Liebe, verändert die Liebesgesänge, die mehr oder weniger ahnungslose Passanten zuvor eingesprochen haben.

Passanten? Genau. Der Turm steht auf einem belebten Platz in München, dem Pariser Platz, der täglich von Hunderten von Menschen übergangen wird. Übergehen kann man den Platz jetzt nicht mehr. Für einen kurzen Moment wird das gemeine Fußvolk Darsteller, Dichter, Regisseur oder Betrachter der Oper. Es gibt keine Bühne, keinen Eintritt, keinen Platzanweiser. Will man tiefer in das Geschehen eintreten, steht eine präpariertes Taxi bereit, in denen sich die Hauptszenen der Oper abspielen.

Karpat, noch nie gehört?

Der gebürtige Istanbuler ist in München am Pariser Platz aufgewachsen und mischt die Münchner Kunstszene seit über vier Jahren gehörig auf. Seit 1998 setzt Karpat Teile seines Zyklus "die sieben töchter des atlas" an geschichtsträchtigen Münchner Schauplätzen in Szene. Vielleicht gelingen seine Inszenierungen deswegen so gut, weil er die Stadt einen Teil davon sein lässt. Weil er die Orte, Menschen und die Behörden mit hinein verwebt. "Die Behörden sind für mich Künstler. Sie gehören mit zu meinem Team", erklärt der Künstler.

Karpats künstlerische Entdeckungsreise ist kein elitärer Alleingang. Die bewusste Einbeziehung von verschiedenen, normalerweise nicht zueinander findenden Aspekten in die künstlerische Diskussion ist ein Markenzeichen von Karpats szenischen Installationen. Dazu gehört eine gute Portion Naivität, denn er muss die traditionellen Grabenkämpfe zwischen Kunst, Wissenschaft, Geschichte, Politik, Architektur, gemeinem Bürger und Kunstexperten lustvoll überspringen.

 

Berkan Karpat am Pariser Platz 2002

Je später der Abend, desto höher fließt das Blut: Singspiel "Suchmaschienen im lichtleeren Meer" auf dem Pariser Platz in München.

 

Angst, mit seiner Kunst an den Menschen vorbeizugehen, hat Karpat nicht. "Ich habe für mich witzigerweise festgestellt, dass der so genannte einfache Bürger, der Mensch auf der Straße, meine Sachen und die Ironie viel einfacher begreift als derjenige, der sich mit den Sachen lange beschäftigt hat." Karpat macht keine abgehobene Avantgarde-Kunst, die nur Eingeweihte verstehen und zu denen sich nur promovierte Kunstgeschichtler schicklich äußern können.

Raus aus dem Theater – rein in die Stadt

Aber Karpats Absicht ist es auch, dem traditionell in teuren Hallen zelebrierten Kunstgeschehen eine Absage zu erteilen. "Ich finde keine Räume mehr für das lyrische Sprechen. Ich finde nicht, dass das Theater oder das Museum einen Raum dafür bieten." Im Gegensatz zum Theater oder Museum zahlt der Betrachter seiner Installationen keinen Eintritt. Meistens weiß er nicht mal, dass er eingetreten ist. Es passiert mitten auf der Straße, im Park, auf der Brücke. Man hält inne beim Einkaufen, Radfahren, Straßeputzen und ist mittendrin im Geschehen. Ja, vielleicht sogar für einen Moment Hauptdarsteller. Das Geschehen, die Geste - das Lieblingswort Karpats - kann trotz der Alltäglichkeit des Inerscheinentretens verstanden werden.

Suche nach den Träumen der Menschheit

"Die Menschen erspüren, dass etwas dahinter steht, eine große Kraft. Auch weil meine Arbeiten sich so mannigfaltig ausdrücken, geraten die Menschen einfach hinein in die Geschichte. Auch weil die Grundfrage so groß ist." Die Grundfrage, das ist für Berkan Karpat die Frage nach dem zukünftigen Menschen. "Einer der großen Träume der Menschheit ist, wie werde ich besser, wie ist meine Zukunft?

Hinter der Verwirklichung seiner Utopien steht ein Team von Enthusiasten, die für wenig oder kein Geld arbeiten. "Ich setze den Hauptentwurf, die Generallinie. Und dann entstehen Tausende von Verästelungen, es bildet sich ein Team, ein unbedingt notwendiger kollektiver Prozess, der schließlich zur Inszenierung führt."

 

Berkan Karpat: Nie um eine neue Idee verlegen.
Foto: F. Hübener
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