Im August isst man in Umbrien auf Plastiktellern

Arm aber anspruchsvoll? In Umbrien bekommt der mittellose Gourmet, was er sich in seinen Drei-Sterne-Träumen ausmalt: feines Essen zu Minipreisen.

Die Restaurants gibt es eigentlich nicht. Zumindest stehen sie in keinem Reiseführer. Sie schießen im August aus dem Boden und verschwinden spätestens Ende des Monats wieder. Es sind Hinterhöfe, Terassen, Gärten und Piazzas, die sich kurzfristig in Feinschmeckerlokalen verwandeln, nur für die Dauer eines Festivals.

Die finden in Umbrien in vielen kleinen, teilweise mittelalterlichen Dörfern statt und tarnen sich mit verschiedenen Anlässen. Zum Beispiel das Weinfest "Vinarelli" in Torgiano, das Kunstfestival in Corciano mit Shakespeare-Aufführungen unter freiem Himmel oder das Turmfest "Festa della Torre" in Castiglion Fosco.

Man muss nicht suchen; bei einer Fahrt abseits der Autobahn landet man unweigerlich in einem Dorf, das sich für ein Festival rausgeputzt hat. Aber es gibt besonders schöne und für die lohnt es sich, Umwege zu fahren. Zwei der schönsten Festivals liegen in der Umgebung von Perugia.

Corciano - Mittelalter im Kindergarten

Bei Fackelschein und mit Blick auf den mittelalterlichen Kirchturm sitzt man im Garten der "Osteria dell Antico Spedale" in Corciano, zehn Kilometer nordwestlich von Perugia. Die Osteria - normalerweise ein Kindergarten - bietet jeden Tag eine neue Speisekarte mit umbrischen Spezialitäten, die in den Restaurants der Umgebung schwer zu finden sind: "quaglie con crostino di fave" (Wachtel in Erbsenkruste), "fiori di zucca fritti" (fritierte Zuchiniblüten), "salsicce" (Würstchen) in Weintraubensauce, "gnocci al ragú" (Kartoffelklößchen in Fleischsauce) und - wie in jeder improvisierten Osteria - torta al testo, das angeblich auf die Etrusker zurückgehende Pizzabrot, belegt mit Käse, Spinat, Würstchen oder Schinken. Dazu wird der ausgezeichnete Rotwein der Region serviert.

Da für Geschirr und Geschirrspüler wenig Platz in der Kindergartenküche ist, wird das Essen auf Plastiktellern serviert. Die etwas unbeholfenen, dafür aber umso freundlicheren Kellner bringen alles in Windeseile. Die Atmosphäre ist ruhig und familiär; Touristen verirren sich nur selten in den Garten. Es schmeckt köstlich und man vermutet hinter den Mauern der Osteria alle Hausfrauen des Ortes mit den besten Familienrezepten versammelt.

Die Preise sind so niedrig, dass man seinen Campingkocher getrost in der Ecke stehen lassen kann. Die Gnocchi kosten 3,50 Euro, die knusprige Wachtel 4 Euro und ist damit die teuerste Speise auf der Karte. Ein Liter Wein geht für 3,20 Euro über den Tisch.

Wer es lieber etwas rustikaler mag, streunt durch die Gassen der winzigen Altstadt. Über dem Eingang zum mittelalterlichen Corciano baumelt ein Hexenkäfig. Gerade bei Mondschein und großem Hunger ein beunruhigender Anblick. Doch sobald man durch das Tor in die Altstadt tritt, erlösen einen die verführerischen Düfte von den düsteren Gedanken. Mitten in einer Gasse schmeißen ein paar gut gelaunte Köche Schweinesteaks aufs offene Feuer. Anhalten und einkehren: Spaghetti al penico oder gegrilltes Schweinefleisch für ähnlich wenig Geld wie in der Osteria antico, allerdings mit etwas weniger Rafinesse zubereitet. Dafür erinnert das Ambiente an die Abschlussgelage einer Asterix und Obelix Geschichte.

Torgiano - Vino und volare

In Torgiano, 14 km südlich von Perugia, liegen die dicken Abreißblöcke mit den täglich wechselnden "menu della cucina in piazza" vor der Essensausgabe. Ab 20 Uhr geht es los auf der Piazza und bald herrscht Volksfestatmosphäre. Essen und Getränke muss man selbst abholen, die Nummern werden ausgeschrieen: "tagliatelle tartufate" (Bandnudeln mit Trüffel), "polenta pasticciata" (Polentapüree), "agnello con verdura" (Lamm mit Gemüse) und zum Nachtisch "ciambellini con vin santo" (Mandelkekse und süßer Wein). Eine Flasche Wein kostet 3 Euro und geht runter wie Wasser in der Wüste. Torgiano gehört immerhin zu den besten Weinregionen Umbriens. Besonders empfehlenswert ist der Sangiovese und der sechs Jahre alte Vin santo Lungarotti. Letzterer ist in keinem Geschäft so preiswert wie auf dem Festival in Torgiano und es auf jeden Fall Wert, nach Deutschland importiert zu werden. Wer sich schon an Ort und Stelle einen ernstzunehmenden Schwipps angetrunken hat, findet vielleicht den Mut sich auf die Festivalbühne zu stellen und gemeinsam mit einer Karaokemaschine "Volare" zu schmettern.

Nach solchen Schlemmereien gesättigt und das Vorurteil, "In Italien gab es schon immer die beste Küche Europa", gefestigt? Wie uns der Gourmet und Schriftsteller D.H. Lawrence in seinem Reisebericht "Etruskische Orte" von 1927 mitteilt, war das Essen in Italien zu seiner Zeit keine Reise wert: "Aber das Essen ist das Übliche: sehr schwache Fleischbrühe, in der dünne Makkaroni schwimmen, das Kochfleisch, aus der die Brühe entstand, dazu Spinat." Angesichts der kulinarischen Genüsse im heutigen Italien schwer zu glauben, was uns der Engländer da auftischt.

Erschienen 2003 auf www.auslandsreporter.de

 

 

 

Umbriens wilde Schönheit
F. Hübener
Spezialität der Region: knusprig gebratene Wachtel
Eingangstor ins mittelalterliche Corciano
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